Stimmtraining für Transgender: Identität, Gender und Stimme im Dialog

Wenn Hass zur Straftat wird: Die Zahl der Beleidigungen und Beschimpfungen von Transpersonen und nicht-binären Menschen steigt deutlich an. Wer “anders” ist, polarisiert. Menschen in Transition brauchen daher Unterstützung auf ihrem Weg. In dieser Episode geht es um Sprechtraining für Trans-Personen während der Geschlechtsangleichung. Miriam, Phädra und Lea sprechen mit der Logopädin Sanne Stria darüber, wie es ist, die eigene Stimme zu finden. HIER KLICKEN FÜR DAS TRANSKRIPT DER FOLGE.

von
Peter Arp
und

Phädra: Mimi und Sanne. Wie war das denn, als ihr euch kennengelernt habt?

Mimi: Tatsächlich haben wir uns in Salzburg auf einer Tagung des Vereins stimme.at getroffen. Das ist das Netzwerk europäischer Stimm-Expert:innen. Das war die 20-jährige Jubiläumsveranstaltung von stimme.at. Wir sind uns aufgefallen, weil wir beide ein Interesse für Gender-Themen haben und beide andere Menschen darauf hingewiesen haben, dass sie beim Sprechen gendern sollten.

Wir haben uns schnell gut verstanden und haben uns im Zug sehr lange unterhalten. Und so kam es, dass wir darüber nachgedacht haben, diese Episode zusammen zu machen.

Phädra: Sanne, wie würdest du deine Arbeit oder deine Arbeitsbereiche beschreiben?

Sanne Strias Arbeitsschwerpunkt

Sanne: Ich habe mich schon seit vielen Jahren fast ausschließlich auf Stimmtherapie spezialisiert. Das bedeutet, ich betreue Menschen, die Probleme mit ihrerStimme haben. Das kann von Kleinigkeiten bis hin zu größeren Belastungen reichen, beispielsweise ständigem Räuspern oder Heiserkeit am Ende eines langen Sprechtags als Lehrer oder Lehrerin, bis hin zu der Begleitung nach Stimmlippen-Operationen. Als Logopädin kümmere ich mich darum, dass die Stimme wieder klangvoll und gesund wird.

Phädra: Kann man auch präventiv zu dir kommen, ohne ein Problem zu haben, und sagen, ich möchte in 30 Jahren keine Probleme haben, oder kommen Menschen nur zu dir, wenn sie ein spezifisches Leiden haben und es loswerden wollen?

Sanne: Deine Idee, präventiv handeln zu wollen, finde ich super. Damit könnten sich viele Menschen viel ersparen. Meiner Meinung nach wird dieses Thema in vielenStudienrichtungen, wie beispielsweise Jura oder Pädagogik, zu wenig behandelt. Es macht natürlich Sinn, präventiv zu arbeiten, aber meistens gibt es einProblem und dann kommen die Menschen zu mir.

Transgender und die Auswirkungen auf die Stimme

Mimi: Das führt uns zu dem Thema, über das wir heute sprechen wollen: Transgender und die Begleitung während der Geschlechtsangleichung. Das hat einen großen Einfluss auf die Stimme.

Als wir das erste Mal miteinander gesprochen haben, Sanne, war ich überrascht, weil ich zuvor nie aktiv darüber nachgedacht hatte, dass im Prozess der Angleichung auch die Stimme betroffen ist. Im Nachhinein erscheint es natürlich logisch, aber vorher hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Ich finde es sehr spannend, weil darüber kaum gesprochen wird. Es ist ein wirklich wichtiger Bereich.

Sanne: Ja, es ist ein absolut wichtiger Bereich. Wenn wir jemanden sprechen hören, enthält die Stimme bereits viele Informationen: das Geschlecht, das Alter, die Herkunft, unter Umständen auch den sozialen Status und die Emotionen. Wenn jemand spricht, entsteht bereits ein Bild dieser Person in unserem Kopf, selbst wenn wir diese Person nicht sehen.

Transgender-Personen wollen natürlich auch in ihrem wahren Geschlecht wahrgenommen werden, was sie dann auch sind, wenn sie die Transition abgeschlossen haben. Bei Transfrauen ist es jedoch vielschwieriger als bei Transmännern, die Stimme anzupassen.

Phädra: Durch Sprachtherapie oder auch durch chirurgische Eingriffe?

Unterschiede bei der Angleichung von Transmännern und Transfrauen

Sanne: Wenn die Transition von Frau zu Mann stattfindet, wird diese ebenso wie die umgekehrte Transition hormonell unterstützt. Testosteron führt dazu, dass dieStimme von sich aus tiefer wird. Daher haben es Transmänner leichter, weil ihreStimme durch die Hormontherapie bereits tiefer wird.

Das heißt aber nicht, dass sie keine stimmliche Unterstützung brauchen, weil sie sich mit ihrer Stimme identifizieren wollen. Vielleicht gefällt ihnen der Klang ihrer Stimme noch nicht so, wie sie ihn sich vorgestellt haben, oder die Stimme ist nicht so belastbar, wie sie es gerne hätten. Daher ist Stimmtherapie auch in diesen Fällen sinnvoll.

Die Schwierigkeiten der Stimmangleichung bei Transfrauen

Bei der Transition von Mann zu Transfrau ist es deutlich komplizierter, weil der Wunsch, eine Frau zu werden, meist nach der Pubertät manifestiert wird.

Nach der Pubertät hat der Kehlkopf jedoch sein Wachstum abgeschlossen, die Stimmlippen sind länger und der Kehlkopf ist größer und prominenter geworden. Der Adamsapfel wird erst nach der Pubertät sichtbar und ist sehr präsent, wenn Jungen tiefe Stimmen haben, weil die Stimmlippen wirklich lang sind. Die Stimmlippen nehmen an Masse zu und die Stimme sinkt eine ganze Oktave tiefer. Aus dieser Situation heraus ist es sehr schwierig, eine weibliche Stimme zu finden.

Der Einfluss von Stimme auf die Wahrnehmung von Geschlechterrollen

Lea: Was mich daran interessiert: Personen, die sich entscheiden, ein Mann oder eineFrau zu werden, oder die sich entscheiden, fluid mit ihrem Geschlecht umzugehen, nehmen ja auch sehr aktiv wahr, wie gesellschaftlich Mann oder Frau geprägt sind. Und sie gehen wahrscheinlich auch anders mit ihrer eigenen Stimme um und versuchen, herauszufinden, wie sie sein könnte.

Wie nimmst du das wahr, Sanne? Wie gehen zum Beispiel Menschen, die als Frauen erzogen werden, mit ihrer Stimme um? Ich habe oft das Gefühl, dass es eine gesellschaftlich anerzogene Art und Weise gibt, wie Männer und Frauen sprechen. Oder?

Sanne: Absolut. Das hat jetzt noch gar nichts mit Transgender zu tun. Wenn Männersprechen, tun sie das oft direkter, technischer und zielgerichteter. Frauensprechen oft emotionaler, verwenden mehr Adverbien wie "vielleicht"oder "eventuell" und dehnen die Vokale.

Es wird also unterschiedlich gelebt, zum einen durch das Vorbild, zum anderen ist es uns aber auch eigen. Das tun wir Frauen und das tun die Männer. Man muss sich dessen bewusst sein, wenn man das Geschlecht wechseln möchte oder sich als geschlechtsfluid identifiziert.

Phädra: Ist das dann auch ein Teil der Stimmtherapie? Dass man also auch mit der Körpersprache arbeitet, wie Sachen ausgesprochen werden, welche Wörter man am besten weglässt und so weiter.

Sanne: Ja, ich erinnere mich an einen Fall. In der Therapie, auch wenn es sich um Stimmtherapie handelt, geht es ja nicht nur um die Stimme. Ich hatte einmal eine sehr lebhafte Transfrau als Patientin, die alles mit viel Eifer angegangen ist.

Sie stürmte regelrecht in meine Praxis und zeigte mir, wie sie es geschafft hatte, ihre Fingernägel auch mit der linken Hand zu lackieren. Es ist auch das, das Lackieren der Fingernägel, das Schminken, das "Guten Tag, gnädige Frau" vom Taxifahrer. All das ist sehr beglückend für Transfrauen.

Mimi: Und wie schön, dass du dann eine Person bist, die diesen Menschen begleiten darf, die dann zu dir freudig läuft, um dir das zu erzählen. Weil du diesen Prozess einfach betreust und begleitest.

Sanne: Und dieses Vertrauen ist da, das ist ja das Wichtige. Denn was, wenn sie es jetzt jemandem erzählt, dann kommt vielleicht eine herabsetzende Bemerkung oderMissmut oder was auch immer. Unverständnis. Oh, es gibt so viel, mit dem sie noch konfrontiert sind.

Mimi: Mich interessiert, wie die Generationenunterschiede bei den Personen aussehen, die zu dir in Therapie kommen. Hast du Patienten, die hauptsächlich einer bestimmten Altersgruppe angehören, oder gibt es wirklich auch eine breite Altersspanne, auch 30 plus, 40 plus?

Sanne: Erstens sind meine Stimm-Klientinnen nicht nur Transgender-Personen zu 100Prozent. Aber von denen, die ich betreut habe oder die gerade bei mir inTherapie sind, gibt es keine Altersbeschränkung. Nein, wirklich nicht. Ich würde sagen, die jüngste ist 17 und die älteste, die die Therapie bereits abgeschlossen hat, glaube ich, ist 45.

Phädra: Das ist interessant. Was ich schön finde, weil oft diesen Menschen das Stigma angehängt wird, dass es eine Phase der Selbstfindung ist, dass diese Personen nicht genau wissen, wo sie hingehören und es in einem sehr jungen Alter machen und es später vielleicht bereuen und so weiter.

Mimi: Oder dass sie es einfach irgendwo aufgegriffen haben.

Phädra: Genau. Und deswegen finde ich es so schön, zu hören, dass es keinen Trend zu jüngeren Personen gibt, was aber auch nichts bedeuten müsste. Aber dass es quer durch die Altersgruppen geht, ist wieder eine Bestätigung dafür, dass das nichts damit zu tun hat.

Die Veränderungen in der Behandlung von Trans*Menschen im Laufe der Zeit

Sanne: Es ist ja auch ein sehr langwieriger Prozess. Das darf man nicht außer Acht lassen, denn heutzutage, transfluide, Transgender-Personen, Menschen, die einfach mit ihrem Auftreten spielen und variieren möchten, haben es, obwohl es immer noch so schwierig und stigmatisiert ist, viel leichter als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.

Denn heutzutage, wenn Männer mit Nagellack und Lippenstift herumlaufen, aber eindeutig männlich gekleidet sind, ist das zumindest aus meiner Sicht akzeptiert.

pexels.com/Foto Anna Tarazevich:

Mimi: Ich habe auch das Gefühl, es wird gar nicht mehr hinterfragt, sondern das ist einfach ein Trend und Mode und wird trotzdem dem männlichen Geschlecht zugeschrieben. Man fragt sich dann auch nicht, wie ist die Sexualität dieser Menschen, nur weil er Nagellack trägt? Ich glaube, vor 10, 15 Jahren wäre das noch anders gewesen.

Lea: Oder das ist so in großen städtischen Zentren. Aber vielleicht ist es in ländlicheren Gebieten immer noch eine größere Herausforderung. Wie war das, als du damit begonnen hast?

Die 80iger: Zeit des Aufbruchs

Sanne: Ich begann in den 1980er Jahren - und ich kann das mit vollem Stolz sagen, denn die 80er waren wirklich fantastisch. Ich höre immer wieder, wie großartig dieseZeit war. Sie war definitiv einzigartig. Wenn ich zurückblicke und darüber nachdenke, stelle ich fest, dass damals wirklich viel im Wandel war.

Wien erlebte einen Aufschwung, es gab neue Cafés, Diskotheken und generell mehr Leben. Für uns, die wir damals noch sehr jung waren, war es eine aufregendeZeit, wir fühlten uns glücklich und begannen zu leben.

Gleichzeitig wurde allerdings zum ersten Mal das Wort Aids bekannt. Es entstanden Diskussionen und Vorurteile, dass diese Krankheit nur in der LGBTQ+ Community auftritt, und niemand wusste, wie man damit umgehen sollte, insbesondere als Freund oder Verwandter dieser Menschen.

Das war der erste Schritt in Richtung eines breiterenVerständnisses, dass Menschen mehr sein können als nur Mann und Frau in einer Familie mit Vater, Mutter und Kind.

Langsam kamen dann auch Berichte über Männer, die lieber Frauen sein wollten. In meiner Erinnerung gab es nur einen Bericht über eine Frau, die lieber ein Mann sein wollte. Dies war ein Schriftsteller, den ich sehr bewunderte. Er hieß Julian Schutting und entschied, fortan als Mann zu leben und zu publizieren. Das war meine erste Begegnung mit dem Konzept der Transidentität.

Später bekam ich mehrere Anfragen von Transfrauen. Es gab keine Literatur zu diesemThema, und das Internet war noch nicht weit verbreitet. Es gab nichts zum Nachschlagen. Aber ich wollte nicht durch Versuch und Irrtum lernen, das wäre meinen Patientinnen gegenüber nicht fair gewesen. Stattdessen fand ich heraus, dass es eine Transfrau gab, die ich kontaktierte und die mir viel über die Do's und Don'ts aufklärte.

Mimi: Also erzählte sie dir über ihren eigenen Prozess, obwohl sie selbst nichts mit Logopädie zu tun hatte?

Sanne: Genau, sie erzählte mir von ihrem Prozess und klärte mich auf. Ich begann, diese Frauen zu begleiten. Es war schwierig, da das Thema damals noch tabu war und als etwas Schmutziges angesehen wurde. Meine Patientinnen durften nicht darüber sprechen, sie schämten sich.

In Österreich konnte man damals keine geschlechtsangleichenden Operationen durchführen. Eine meiner Patientinnen musste nach Tschechien reisen, um eine Brustoperation durchführen zu lassen. Es war eine sehr harte Zeit für sie. Aber ich kann sagen, dass alle, die ihreStimme im Laufe der Zeit feminisiert haben, glücklicher und authentischer als Frauen auftraten.

Mimi: Es ist erstaunlich, wie mächtig eine Stimme sein kann und wie sie dazu beitragen kann, dass man sich in seiner eigenen Haut wohler fühlt und denProzess mehr genießen kann.

Sanne: Ja, wenn wir unsere Stimme verlieren, ist das ein großes Problem. Wenn dieStimme nicht belastbar ist, hat das einen enormen Einfluss auf unsere Psyche.Und das betrifft noch nicht einmal die Frage, ob es unsere authentische, kraftvolle Stimme ist.

Mimi: Ja, und unsere Stimme beeinflusst auch, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Ich erinnere mich an eine ehemalige Schulkollegin, die körperlich recht klein war und eine hohe, leise Stimme hatte.

Sie war unglaublich selbstbewusst und intelligent und hatte viel zu erzählen. Aber weil ihre Stimme ein wenig nervig war und sie dadurch schüchtern wirkte, wollte ihr niemand zuhören. Ihre Stimme führte dazu, dass die Leute voreingenommen waren, bevor sie überhaupt mit ihr sprachen.

Zuerst kommt der Mensch

Sanne: Etwas, das man als Logopädin wirklich lernt, ist, keine Vorurteile zu haben. Es funktioniert einfach nicht. Wenn jemand in mein Büro kommt, sehe ich zuerst 100% den Mensch, und dann höre ich mir an, was diese Person mitbringt. Vorurteile basierend auf Größe, Gewicht oder Stimme haben keinen Platz in meiner Arbeit.

Insbesondere das Thema der hohen, quäkenden Stimme ist interessant, denn es löst sofort Vorurteile aus. Beispielsweise kann eine blonde Frau mit hoher Stimme sofort als unintelligent abgestempelt werden, ohne dass man annimmt, sie könnte eine fundierte Meinung zu einem Thema haben. Das ist ein Vorurteil, das mich wirklich stört.

Man weiß nie, warum sie eine hohe Stimme hat. Vielleicht hat sie ein Problem mit ihren Stimmbändern, wurde operiert oder ist einfachgestresst und angespannt. Aber das bedeutet nicht, dass sie nichts Wichtiges zusagen hat.

Mimi: Absolut. Vielleicht arbeitet sie sogar daran. Sie versucht, es zu verbessern und gibt ihr Bestes, und trotzdem tritt man ihr mit diesen voreingenommenen Haltungen entgegen.

Lea: Ich habe auch erlebt, dass in stressigen Bürosituationen die Stimmen vieler Frauen automatisch höher werden. Zum Beispiel, wenn ein Meeting stattfindet und man einen guten Gedanken hat, den man gerne äußern würde.

Man bereitet sich im Kopf darauf vor, was man sagen will, und sucht dann schnell einen geeigneten Moment, um es zu äußern, da männliche Kollegen oft lange Monologe halten und Anekdoten erzählen. Viele Frauen, die ich getroffen habe, mussten ihren Punkt schnell machen. Es war eine Stresssituation, und ihre Stimmen wurden höher.

Sanne: Genau. Und dann kommt natürlich die Reaktion der männlichen Zuhörer: "Ah, ihre hohe Stimme ist unerträglich."

Mimi: "Hysterisch."

Phädra: Ja, das hat viel mit der Einnahme von Raum zu tun. Nicht nur im physischenSinne, weil Männer oder als Männer wahrgenommene Personen oft größer sind alsFrauen. Aber auch im übertragenen Sinne.

Vielleicht nehmen tiefere Stimmen eher Raum ein, da ihre Schwingungen anders sind, vielleicht füllen sie den Raummehr, vielleicht sind sie automatisch lauter. Ich bin mir nicht sicher.

Sanne: Tiefere Stimmen werden oft als seriöser und kompetenter wahrgenommen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Aber es ist eine Tatsache.

Viele Frauen bemerken, dass sie mit ihrer hohen Stimme nicht gut ankommen, suchen nach Informationen und entdecken dann, dass tiefere Stimmen als seriös und kompetent wahrgenommen werden. Dann drücken sie einfach ihren Kehlkopf tiefer, um eine tiefere Stimme zu bekommen. Sie merken aber nicht, dass das ihrer Stimmkraft und Gesundheit schaden kann und sie leichter heiser werden können.

Mimi: Und es wirkt unauthentisch.

Phädra: Du hast glaube ich in dem Blog auf deiner Webseite geschrieben, dass Frauen, wenn sie mit Männern sprechen, automatisch ihre Stimme erhöhen? Oder habe ich das woanders aufgeschnappt? Dass in einem Eins-zu-eins-Gespräch zwischen einer Frau und einem Mann Frauen automatisch ihre Stimme erhöhen? Das fand ich als Fakt so interessant. Wenn es nicht von dir ist, hätte ich trotzdem gerne deine Meinung dazu.

Sanne: Das finde ich spannend. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Frauen ihreStimme erhöhen, wenn sie etwas von Männern wollen. Dass sie dann ein bisschen mit diesem "Mädchen, ich bin so hilflos"-Schema spielen. Ja, das kann vorkommen, aber ich würde es nicht bevorzugen. Ich würde eher auf Inhalt undAuftreten setzen. Aber ja, es kann durchaus vorkommen.

Mimi: Wie bist du darauf gekommen, Menschen in der Geschlechtsangleichung zu begleiten?

Sanne: Ich glaube nicht, dass das eine bewusste Entscheidung war. Ich war schon immer aufgeschlossen und wir hatten wahrscheinlich als erste in unserem Freundeskreis homosexuelle Freunde.

Für uns war das völlig normal und gehörte zu unseren Freunden, weil bei uns immer die Person im Vordergrund steht und dann erst die Frage kommt: Woher kommst du? Was arbeitest du? Das interessiert uns meistens nicht. Wichtig ist die Person. Dadurch wird man sozialisiert. Man bekommt Probleme mit, man hört von Dingen, man wird nach Meinungen gefragt. Das war einmal die Bestätigung für mich, dass das für mich alles absolut in Ordnung ist.

Und dann glaube ich, dass diese Trans*-Menschen alle Logopäd*innen anrufen und fragen: Können Sie mir helfen? Und wenn dann 80 Prozent Nein sagen, freuen sie sich, wenn jemand sagt: Ja, ich helfe Ihnen.

Lea: Nein, weil sie sich nicht auskennen oder war das auch noch größtenteils einVorurteil?

Sanne: Ich habe nie gefragt. Ich habe nie gefragt, ob jemand Trans*-Menschen abgelehnt hat. Man hört natürlich die Geschichten, wenn man mit den Menschen zusammenarbeitet. Aber ich habe nie aktiv gefragt, wie viele Leute haben Sie angerufen? Wie viele haben Nein gesagt? Das ist eigentlich irrelevant.

Wichtig ist, dass ich Ja gesagt habe. Und ich glaube, dass es vielen Menschen hilft, wenn sie Ja sagen hören. Das ist die Botschaft. Egal ob man sich auskennt oder nicht. Man kann sich informieren, man kann dazulernen. Man muss nicht immer alles wissen. Aber wenn man Interesse hat und sich weiterbildet, dann kann man in diesem Bereich auch Menschen helfen. Man muss nur Ja sagen.

Macht Stimmtraining Sinn?

Mimi: Ich muss sagen, ich hatte vorher eine sehr konservative Einstellung zu Stimmtrainerinnen oder zum Stimmtraining. Ich dachte irgendwie, ich habe in drei Wochen einen Vortrag und möchte mich darauf vorbereiten, authentisch auf der Bühne zu sein, ohne dass meine Stimme versagt oder ich anfange zu stottern. Oder ich habe ein akutes oder bereits bestehendes Problem und möchte das beheben. Aber danach war für mich schon Schluss.

Ich habe mir darüber nie weiter Gedanken gemacht und ich finde es so spannend, dass da so viel mehr dahintersteckt. Dass damit so viel mehr verbunden ist, wie die Identitätsfindung und die eigene Wahrnehmung und einfach wie man im Raum wirkt und wie einem das Umfeld begegnet. Dass da so viel mitschwingt, finde ich megaspannend.

Sanne: Die Stimme soll ja auch im gesamten Körper von Kopf bis Fuß mitschwingen. Das bedeutet, man muss den Körper vorbereiten, die Atmung vorbereiten, um eine gute, authentische, kraftvolle und gesunde Stimme zu haben. Und dann kommen eben die unterschiedlichsten Themen von den Menschen, die zu mir kommen.

Stimmtherapie im Lauf der Zeit

Mimi: Hast du das Gefühl, dass sich die Anfragen seit Beginn deiner Karriere in der Therapie verändert haben?

Sanne: Nicht wirklich. Es gibt Anfragen für Stimmtherapie, bei denen es zum Beispiel eine Stimmlippenlähmung nach einer Operation oder eine massive Stimmlippenveränderung aufgrund von übermäßigem Sprechen gibt.

Das sind dann Diagnosen, die von einem HNO-Arzt oder einer HNO-Ärztin festgestellt werden. Und dann gibt es diejenigen, die sagen, dass sie einen Podcast starten möchten, aber ihre Stimme im Mikrofon immer komisch klingt.

Daran möchten sie arbeiten. Oder ihre Stimme ist zu dünn oder zu leise oder es gibt andere Probleme. Das sind dann die anderen. Das sind die gesunden Stimmen, die jedoch nicht gutgeführt werden, bei denen es an Stimmtechnik und Sprechtechnik hapert und es ein Problem gibt. Also das sind die zwei verschiedenen Bereiche.

Mimi: Und ich nehme an, dass es zwischen den Generationen tatsächlich nicht so große Unterschiede gibt. Wenn zum Beispiel eine Person zu dir kommt, die 53 Jahre alt ist, und danach kommt eine Person, die 16 Jahre alt ist. Der Umgang ist natürlich unterschiedlich. Aber gibt es da auffällige Unterschiede zwischen den Generationen?

Sanne: Ja. Vor allem in Bezug auf die Themen. Eine 53-jährige Person kommt wegen Problemen beim Chorsingen oder aufgrund eines beruflichen Sprechens. Eine16-jährige Person kommt nicht unbedingt wegen der Stimme, sondern aufgrund einer Zahnspange.

Und dann gibt es das Lispeln. Ja, das Lispeln tritt dann auf. Und da es immer die gesamte Person betrifft, sitzt vor mir eine andere 16-jährige Person als vor 25 Jahren. Denn diese Person ist möglicherweise transident, hat andere Vorstellungen und möchte zusätzliche Themen besprechen. Also da bemerke ich den Generationenunterschied. Die Jugendlichen stellen mich vor andere Herausforderungen und ich lerne dadurch ihre Gedanken und ihre Weltviel besser kennen.

Mimi: Hast du das Gefühl, dass du dein Angebot anpassen musst oder etwa alle fünf Jahre überarbeiten musst, weil die jungen Generationen nach etwas anderem suchen?

Sanne: Nein, nein, das glaube ich nicht. Das glaube ich nicht. Eine Zahnspange bleibt eine Zahnspange, egal ob vor fünf Jahren oder in fünf Jahren. Es ist für mich eine Herausforderung. Ich finde es total schön, neue Dinge zu hören und mitzuerleben.

Und auch das merke ich wieder, um auf das Vertrauen von 150%zurückzukommen. Das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird, und dass sich viele, die jünger sind, gut aufgehoben fühlen, basiert auf meiner Lebenserfahrung und darauf, dass ich nicht engstirnig denke oder verurteile, sondern einfach akzeptiere und darüber spreche. Dadurch kann es passieren, dass das eigentliche Thema gar nicht mehr im Vordergrund steht.

Lea: Wie sieht es aus mit Männern und Frauen? Natürlich gibt es das spezielleThema Transgender. Aber gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die zu dir kommen, wenn es um ihre Probleme geht?

Sanne: Nein, nein. Wenn die Stimme zu schwach ist oder nicht durchdringend genug bei Meetings, dann bemerken das sowohl Männer als auch Frauen. Es geht also nicht um die Geschlechtszugehörigkeit, sondern es sind Frauen, die in ihrer Karriereweiterkommen möchten und sagen: Ja, ich brauche noch etwas Unterstützung, weil mich das stört. Meine bisherigen Strategien reichen nicht aus, um voranzukommen.

Warum Therapie in Anspruch genommen wird

Mimi: Mich interessiert, wie kommen Personen während ihres Geschlechtsangleichungsprozesses zu dir? Ist das eine Entscheidung, die sie selbst treffen? Brauchen sie Unterstützung, die ihnen empfohlen oderangeboten wird? Oder sind das freie persönliche Entscheidungen, bei denen sie zusätzlich logopädische Unterstützung suchen?

Sanne: Ja, das ist definitiv eine freie persönliche Entscheidung. Wenn die Stimme zu tief ist und ihre eigene Strategie, höher zu sprechen, nicht funktioniert, suchen sie nach Hilfe. Die Stimmangleichung ist unabhängig davon, an welchem Punkt ihrer Transition sie sich befinden.

Ob sie noch am Anfang stehen, es ausprobieren wollen oder bereits hormonelle Veränderungen oder Operationen durchlaufen haben, ist irrelevant. Die Stimme kann immer therapiert werden.

Ideal wäre es natürlich, aber das ist eine sehr frühe und zeitige Entscheidung, wenn beispielsweise Jungen erkennen, dass sie im falschen Körper sind und sicherstellen möchten, dass ihr Körper nicht wie ein typischer Männerkörper entwickelt wird. Sie möchten weiblich sein, ein Mädchen sein, und das kann schon vor der Pubertät besprochen werden. Dadurch könnte der Stimmbruch vermieden werden, und ihre Stimmbänder wären von Natur aus kürzer, was es einfacher macht, eine weibliche Stimme anzunehmen.

Verzögerte Auswirkungen der Pubertät

Lea: Das ist interessant, denn das ist eigentlich ein sehr umstrittenes Thema.

Sanne: Genau, weil es so frühzeitig ist. Deshalb kann man auch nicht entscheiden oder sagen, ob es erlaubt oder nicht erlaubt ist. Ich sage nur, dass es ideal wäre, rein in Bezug auf die Stimme. Nur in Bezug auf die Stimme.

Mimi: Ich habe auch gehört, dass es eine Strategie ist, den Betroffenen noch etwas Zeit zu geben. Es wird oft gesagt, dass es nur eine Phase ist. In diesem Zusammenhang fragen sich viele, wie auch ich, wie es umgesetzt wird, aber man schiebt den Stimmbruch noch eine Weile hinaus, damit - das ist ein etwas boshafter Gedanke von mir - die Eltern zum Beispiel sagen können, dass er es sich noch einmal überlegt. So in diese Richtung.

Oder im positiven Kontext, damit er mehr Zeit hat, sich der Konsequenzen bewusst zu werden und sich sicher zu sein.

Sanne: Genau, das würde man hormonell tun, indem man den Stimmbruch und die Pubertät hinauszögert.

Phädra: Wir wollten dich noch fragen, ob du von deiner Familie, von deinen Eltern, einen Rat bekommen hast, an den du dich heute noch gut erinnern kannst. Das fänden wir spannend.

Weise Ratschläge

Sanne: Eine Weisheit. Eine Weisheit von meinen Eltern. Nein, nicht wirklich. Nein, ich muss euch wirklich enttäuschen. Es gibt Eltern, die geben ihren Kindern Weisheiten mit, bei denen ich immer denke: Wahnsinn! So klug! So klug. Vielleicht fällt mir im Nachhinein noch etwas ein. Nein, also nicht so etwas wie "Gehe hinaus und schaue dir die Welt an". Nein, das verstehe ich unter diesem Ratschlag. Und ich gehe hinaus. Nein, da muss ich euch enttäuschen.

Mimi: Du hast dir deine eigenen Weisheiten gefunden.

Sanne: Ja, genau. Also ich habe sie nicht von meinen Eltern bekommen, sondern ich habe, wenn ich so darüber nachdenke, sie selbst erarbeitet. Mir sehr, sehr, sehr, sehr viel selbst erarbeitet.

Lea: Dann vielleicht die Frage, weil du ja vorhin deine Tochter erwähnt hast. Gibt es irgendwelche Weisheiten, die du ihr mitgeben möchtest?

Sanne: Also ich habe nicht nur eine Tochter, ich habe auch einen Sohn, und wir haben beiden mitgegeben, dass sie vorurteilsfrei Menschen gegenüberstehen sollen und ihr Leben so leben sollen, wie sie es möchten.

Das Wichtigste für uns ist, dass sie glücklich sind, egal ob sie Beziehungen zu Männern, Frauen, Transpersonen oder in heterosexuellen Beziehungen haben. Es ist uns alles recht, solange sie glücklich sind.

Mimi: Schön. Das ist auch ein schönes Abschlusswort. Seid wohlauf und werdet glücklich. Und findet eure eigenen Weisheiten.

Sanne: Das klingt gut.

Mimi: Danke, Sanne, dass du zu uns gekommen bist und uns mit Weisheit bereichert hast.

Sanne: Bitte sehr gerne. Und ihr habt mir jugendliche Fragen gestellt.

Mimi: Ja, das ist unser Ziel. Generationenübergreifend. Wir können voneinander lernen.

Sanne: Das stimmt. Danke euch. Danke.