Mein etwas anderes Osterfest

Der Start der Sea-Eye4-Mission steht unmittelbar bevor. In ihrem ersten Beitrag, schon an Bord des Rettungsschiffes, erinnert sich Hanna daran, wie für sie alles begann.

von
Hanna Winter
und

Ich erinnere mich noch gut an den Samstag im August letzten Jahres. Ich hatte meinen Job als Hauswirtschaftliche Betriebsleiterin gekündigt, um frei zu sein, mich ehrenamtlich in der humanitären Arbeit zu engagieren. Ich ließ meinen Arbeits-Laptop auf dem Schreibtisch zurück und drehte den Schlüssel zu meinem Büro ein letztes Mal im Schloss um. Zu Hause packte ich mein Leben in Kisten und verstaute sie im Keller. Die nächsten Monate würde ich aus dem Koffer leben. Zwei Tage später bestieg ich zum ersten Mal in meinem Leben ein so großes Schiff wie die Sea-Eye 4 - mein Zuhause auf Zeit für die kommenden vier Wochen.

Die Sea-Eye-4 liegt - noch - vor Anker im Hafen von Palermo. Von hier aus startet ihre Mission.

 Zwei sehr gute Freunde von mir mussten aus ihrer Heimat fliehen, und kamen 2015 über das Mittelmeer nach Europa. Monate, nachdem wir uns besser kannten, erzählten sie mir das erste Mal von diesem Abschnitt ihrer Flucht. Etwas später las ich ihre schriftlich festgehaltenen Erinnerungen an diesen Tag auf einem kleinen Schlauchboot: Von den Wellen, den vielen Menschen, dem Kentern beim ersten Versuch, vom zweiten Versuch, der funktionierte, von der türkischen Küstenwache, die versuchte sie aufzuhalten, griechische Gewässer zu erreichen – das schlug voll ein, berührte und erschütterte mich zutiefst. Ich beschloss, mich mehr mit dem Thema zivile Seenotrettung auseinander zu setzen – und da war ich nun, drei Jahre später, auf dem zivilen Seenotrettungsschiff Sea-Eye 4,um Menschen in Seenot zu helfen. Menschen wie meine Freunde, die vor 7 Jahren in einer ähnlichen Situation waren.

 In den vergangenen Monaten begleitete ich bereits zwei Missionen. Beim ersten Einsatz retteten wir 29 Geflüchtete aus einem kleinen Holzboot, zwei hochschwangere gerettete Frauen brachten ihre Babys kurz nach der Ankunft in Italien zur Welt. Beim zweiten Einsatz retteten wir rund 800 Menschen von sieben Booten in 44 Stunden. Eine der Rettungen war extrem kompliziert und in letzter Minute. Bis heute scheint es mir manchmal noch so unwirklich, dass alles gut gegangen ist und alle Menschen von dem doppelstöckigen Boot lebend auf unser Schiff gekommen sind. Eindrücke dieser Mission könnt ihr auch in dieser Podcast-Folge mit mir anhören.

 Ich habe so unglaublich wundervolle, herausfordernde, belastende und auch fröhliche Momente auf der Sea-Eye 4 erlebt. Ich könnte eine Stunde lang nur schönes und eine Stunde lang nur belastendes und traurige Geschichten erzählen. Diese Paradoxie ist Teil dieser besonderen Arbeit, von der ich in den nächsten Wochen hier und über die anderen Kanäle von Journey-Stories berichten werde, soweit es die Umstände an Bord zulassen.

Die Sea-Eye 4 rettet Menschenleben im Mittelmeer, hier bei einer der letzten Missionen. ©Johannes Gaevert

 Es ist Ostern, als ich diesen Text schreibe, ein besonderes Osterfest. In den letzten Tagen schauen die Christen auf der ganzen Welt auf das Leiden, Sterben und die Auferstehung von Jesus. Als Christin ist mir die Botschaft vom Karfreitag dieses Jahr besonders nah gegangen. Wir glauben, dass Gott uns durch sein eigenes Leiden und Sterben in unserem Leid besonders nah kommt. Ein Gott, der uns Menschen in den schweren Zeiten unseres Lebens nicht allein lässt, der Böses in Gutes, Sterben in Leben verwandeln kann. Ich habe auf den Einsätzen Menschen gesehen, die da draußen in kleinen seeuntauglichen Booten dem Tod in die Augen schauten.

 Durch unsere Arbeit können zumindest einige dieser Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden und danach in einem sicheren Hafen an Land gehen. Es ist für mich ein Privileg, wieder Teil der Crew an Bord der Sea-Eye 4 sein zu dürfen!

 Bis bald!