Die Reise geht zu Ende

Der sichere Hafen in Italien ist gefunden: im sizilianischen Pozzallo. Die Geretteten verlassen das Schiff. Und gehen in eine unsichere Zukunft.

von
Hanna Winter
und

Gute Nachricht am zweiten Abend nach der zweiten Rettung: Wir haben einen sicheren Hafen bekommen und können unsere Gäste im italienischen Hafen Pozzallo an Land bringen!

Das sichere Ende der Reise für die Geretteten. Und der Beginn ihrer unsicheren Zukunft. (google maps)

Wir versammelten alle Geretteten und Crewmitglieder auf dem Deck. Viele ahnten schon etwas. Dieser Augenblick ist einer meiner Lieblingsmomente einer jeden Mission.

Die Frauen und Männer, die beim Ankommen auf dem Schiff erschöpft, nass, zitternd, schmutzig und stinkend vor mir saßen - manche konnten mir kaum in die Augen schauen - tanzten an Deck, viele Gesichter wirken verwandelt, die Augen vieler leuchten wieder ein bisschen, sie gehen etwas aufrechter und selbstbewusster.

Es ist eine große Freude für mich, diesen Unterschied zu sehen und Zeugin von Menschlichkeit zu sein. So sehr ich mich bemühe, ich schaffe das nie ohne Tränen. Während ich einige von ihnen beobachte, wie die sich freuen und voller Hoffnung scheinen, denke ich an das, was ihnen nun bevorsteht.

Sie sind bald in einem sicheren Hafen, aber ihre Zukunft ist sehr unsicher. Viele Träume werden zerstört werden, viel Mühsal und Demütigungen warten in Italien und Europa auf sie.

Manche von ihnen stehen eher ruhig daneben. Ich frage mich, ihnen gerade durch den Kopf geht. Schade, dass ich mit vielen von ihnen nicht sprechen kann, da mir die Sprachkenntnisse fehlen.

Wenn sich jemand bei mir bedankte, sagte ich oft: „Es wird nicht einfach, aber du hast unglaubliches geschafft, du bist stark, glaub an dich!“

Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie schnell mir die Menschen ans Herz wachsen, obwohl ich es nicht schaffe, viel mit ihnen zu sprechen, die wenigsten Namen lernen kann.

Sie gehen zu lassen ist eine große Freude und auch immer etwas schwer. Wir sind doch ein bisschen zu Freunden geworden während der vergangenen Tage.

Wir bereiteten Essenspakete vor, planten die Details, und versuchten uns persönlich zu verabschieden und noch die letzten Gesprächsmomente zu nutzen.

Von Bord. Wohin? ©Joe Rabe

Die Disembarkation verlief ziemlich zügig. Eine Zeitlang hielt uns dicker Nebel davon ab, in den Hafen einzufahren, doch dann erwarteten uns eine Menge Polizisten, Leute vom Roten Kreuz und viele weitere. Entlang der Gangway standen n die Crewmitglieder, um unseren Gästen Lebewohl zu sagen.

Ein Mann aus Bangladesch hatte mir vor ein paar Tagen seine Mütze geschenkt. Ich zögerte sie anzunehmen, aber er bestand darauf. Er sagte mir, wir sind jetzt Freunde und er möchte mir daher etwas schenken.

Es war sehr rührend, von ihm ein Geschenk zu bekommen. Von einem, der kaum etwas besitzt, die Kleidung am Leib, ein paar Papiere, vielleicht ein paar Zigaretten, ein bisschen Geld für die Reise.

Heute schenkte ich ihm die Mütze zurück, er braucht sie dringender als ich für die Sonne in Italien. Sie war doch auf dem Schiff sein Markenzeichen, das er unbedingt mitnehmen sollte.

Während des Schreibens kommen in mir immer wieder Emotionen auf, für die in den letzten Tagen und Wochen wenig Platz war. Es sind Momente der Freude, der Erschöpfung, der Sorgen um die Geretteten, der Rührung.

Und auch Gefühle der Wut über dieses System und diese Welt.