Die Frage nach dem Sinn

Die Mission der Sea-Eye 4 geht in die dritte Woche. Ständiger Begleiter: Ungewissheit. Die geht ziemlich an die Substanz der Retter:innen.

von
Hanna Winter
und

Am 5.5. erfuhren wir von einem Seenotfall weiter östlich von uns. Die Besatzung der Brücke empfing Funksprüche auf Arabisch - ein Gespräch zwischen einem türkischen und einem libyschen Schiff. Wir wussten, es würde an ein Wunder grenzen, rechtzeitig dorthin zu kommen, versuchten es aber trotzdem.

Der kürzeste Weg führte durch ein Chaos an Wellen, die wieder aus verschiedenen Richtungen kamen und die Sea-Eye 4 hin und her schmissen. Diese bewegte Nacht nahmen wir dafür gerne in Kauf. Am Morgen folgte die ernüchternde Erkenntnis: zu spät. Die Personen auf dem Boot wurden bereits illegal zurück nach Libyen gebracht.

Leeres Boot. Wo sind die Menschen, die darin waren? ©Gorden Isler

Insgesamt legen gerade etwas weniger Boote ab. Letzte Woche waren wir östlich von Tripolis, wo viel los war, bevor wir dorthin kamen. Unsere Kolleg*innen weiter westlich waren mit Rettungen beschäftigt, während uns keine weiteren Notrufe erreichten.

Es ist einfach nicht vorhersehbar, wann wir wo gebraucht werden. Das Gebiet muss daher stets überwacht werden, damit wir im Ernstfall schnell helfen können.
Das Wetter war zuletzt sehr wechselhaft. Es ändert sich schnell und die Vorhersagen helfen nur bedingt, sodass es schwierig ist, vorauszuplanen.

Einmal ist das Meer spiegelglatt und es gibt wenig Wind, perfekt geeignet, um von der libyschen Küste abzulegen. An nächsten Tag gibt es starke Wellen und Wind, die das Ablegen fast unmöglich und Rettungen gefährlich machen. Nicht zu vergessen der Bürgerkrieg in Libyen, der natürlich auch einen Einfluss auf den Start von Booten hat.

Nach fast 2 Wochen in der Search-and-Rescue-Zone leidet unsere Stimmung. Die ständige innere Anspannung, um jederzeit bereit für eine Rettung zu sein, und zugleich das Ausbleiben von Rettungen, machen viele von uns dünnhäutig, erschöpft, gereizt.

Dazu kommt die Belastung durch die stürmischen Nächte, in denen viele nicht oder nur schlecht schlafen können, die ständige körperliche Anspannung, um die Schiffsbewegungen auszugleichen, und Symptome der Seekrankheit.

Ein entspannter Filmabend mit Popcorn, Eis und ganz viel Zucker tat gut und hat uns ein bisschen schöne Gemeinschafts-Zeit geschenkt.

Die Frage nach dem Sinn unserer Mission kommt in manchen Gesprächen auf. Während ich ihn im täglichen Kochen für die Crew eher sehen kann, fällt es anderen schwerer. Die RHIB-Teams zum Beispiel trainieren ausschließlich für den Moment der Rettung.

Die Trainings sind hart, die Kolleg*innen tragen enorm viel Verantwortung, die Arbeit ist gefährlich, sie müssen herausfordernde und folgenschwere Entscheidungen treffen. Alles wäre umsonst, wenn sie ihr Können diesmal nicht anwenden könnten.

Dann gibt es die professionelle Seecrew, die das Schiff tagtäglich betreibt. Für sie ist die Arbeit hier Alltag und Routine. Sie sind das Schiffsleben und die damit verbunden Herausforderungen gewöhnt.

Für mich und uns ist wichtig, den Blick auf das große Ganze zu richten, während wir Tag für Tag in unserer kleineren Dimension arbeiten und denken.

Unabhängig davon, ob wir Rettungen durchführen oder nicht: unser Hier-Sein ist ein politisches Statement im Einsatz für Menschenwürde und Menschenrechte.

Es gibt vielen Hoffnung, und ich bin mir sicher, dass die Mühen nicht umsonst sind, wenn sie vielleicht auch an anderer Stelle Früchte tragen.